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NAHRUNGSMITTEL
Tafelspitz im „ Schwarzen Kameel “, dem Mikrokosmos wienerischer Genussfreude . Das Kultlokal feiert 2018 sein 400-jähriges Bestehen und zählt damit zu den ältesten Lokalen der Bundeshauptstadt .
sengruppen und -abfolgen sowie Zubereitungsarten , vor allem aus der Genussorientiertheit bezieht , weniger jedoch aus einzelnen als national definierten Gerichten “, schreibt die Kunsthistorikerin Susanne Breuss über die „ Genuss- Republik “ Österreich .
( Ost- ) Alpine Hochküche Der Stolz auf das bäuerliche Erbe , auf die Artenvielfalt und kulinarische Schätze führt zum Wunsch einer international bekannten Alpenküche . Ein wirkungsvolles Konzept , Bündelung der Kräfte und ein griffiger Titel wären da sehr willkommen , um die Alpen als Destination für Feinschmecker attraktiv zu machen . Denn das Potenzial , sich international in die vorderste
Front zu spielen , ist allemal vorhanden . Spitzenköche aus Österreich , der Schweiz , Südtirol , Friaul und Slowenien versuchen aus diesem Grund seit geraumer Zeit , ihrer Küche eine neue Gestalt fernab von Foie Gras , Hummer , Jakobsmuscheln und Kobe-Rind zu geben . Die Idee einer gemeinsamen Alpenküche soll die Küche der Alpenrepublik im In- und Ausland stärken . Ob Schlemmerreisen , Genussfestivals , kulinarische Wanderungen oder Weinver - kostungen – Gourmets sollen die alpine Region als Genussdestination wahrnehmen .
Authentizität durch Nachahmung ? Die Voraussetzungen für eine „ Alpine Cuisine “ gestalten sich ähnlich wie im kargen Norden . Die Küche auf den Almen war immer geprägt von Einfachheit . Man verwendete das , was einem das raue Leben in den Bergen zur Verfügung stellte . Heute soll dieses kulinarische Erbe der Alpen nach nordischem Vorbild neu interpretiert werden . Jene bescheidenen , in der Region verwurzelten Zutaten sollen in die Grande Cuisine entführt werden und Feinschmecker aus aller Welt anlocken . Die gesamte Alpenregion hat erstklassige Voraussetzungen , um weltweit als kulinarische Destination bekannt zu werden . Gastronomen , Landwirte und Weinbauern haben seit jeher auf dem Gebiet der Lebensmittelproduktion und deren Verarbeitung Großartiges zustande gebracht . Sortenvielfalt auf allen Ebenen , also Bio-Produkte , alte Obstsorten , Gemüseraritäten , Kräuter aus Wald und Flur , alte Tierrassen , Wildtiere , Getreidesorten , Brot , Käse , Wurst und vieles mehr liefern ein gutes Fundament für eine Cuisine Alpine . Der Gast soll die Region auf dem Teller zu schmecken und über den Gaumen Geschichten erzählt bekommen . „ Culinary Nation Branding “ steht auf dem Tagesplan , der Begriff einer Alpenküche soll sich im Sprachgebrauch etablieren . Um international Aufmerksamkeit zu erzeugen , wird es allerdings mehr brauchen , als an in Vergessenheit geratene Traditionen anzuknüpfen oder einfach nur auf den „ Regional “ -Zug aufzuspringen .
Identität geht durch den Magen Die alpine Küche pendelt zwischen profanen Hüttenschmankerln , deftiger Wirtshausküche und regionaler Kreativität ( Kukuruz-Safran- Schaumsüppchen oder Tux-Wagyu Rind mit Liebstöckl-Dashi ) in der „ gehobenen Gastronomie “. Während der in der Hauben- und Sterne-Küche an die Alpenküche angelehnte Küchenstil gepflegt wird , setzt man in der „ normalen Gastronomie “ auf Bewährtes wie wie Wiener Schnitzel , Tafelspitz , Backhendl und Apfelstrudel . Diese Klischees sowie touristische Standardisierung , schnelle Routinen und der Einsatz von Convenience prägen eben auch das touristische Bild der Alpenküche . Während Bluttommerl , Bruckfleisch , Heidensterz , Tiroler Blattln oder Ritschert in Vergessenheit geraten sind , bedienen sich die Convenience-Hersteller an wenigen Vorzeigegerichten wie Knödel in unzähligen Interpretationen und Variationen , Spätzle , Schmarrn und Strudel . Das kulinarische Erbe zu bewahren und eine „ alpine Küche “ klar identifzierbar zu machen , bedeutet , dass möglichst alle Beteiligten an einem Strang ziehen . Dabei geht es nicht nur um Marketing , sondern vielmehr um Aufklärungsarbeit bei den Gästen , die mit kulinarischer Tradition kaum etwas anzufangen wissen . Viel Potenzial in dieser Hinsicht findet sich in der Hütten- und Heurigengastronomie , in Buschenschenken , Beisln , Cafés und Gasthäusern . Ist doch die „ kulinarische Heimat “ der Wirtshausküche viel näher als die von internationalen Trends geprägte Hauben- und Sterne-Gastronomie .
Wiener Küche – oder : Das Gute liegt so nah Wenn auch Skandinavien als vielgerühmtes Vorbild gilt , ließe sich vom Konstrukt der „ Wiener Küche “ viel abschauen , obwohl die von Gerhard Bronner beschriebene Attitüde „ Österreich findet in Wien statt “ gerade die regionalen und alpinen Küchen in der Öffentlichkeit sehr lange vernachlässigt hat . Was man bei dem Diskurs rund um die Alpenküche oft vergisst : Wien ist als Stadt der Gemütlichkeit und des guten Essens bereits über die Grenzen hinaus bekannt . Bemerkenswert daran : Eine gewöhnliche Küche wurde zu etwas Besonderem gemacht . Keine andere Stadt weist eine so tiefe Verbindung zur Esskultur auf . „ Die Wiener Küche ist eine gute Geschichte , sie ist eine Erfindung , die sich immer wieder selbst nachbildet “, sagt der Ethnologe Konrad Köstlin . Und der deutsche Gastronomiekritiker Wolfram Siebeck charakterisiert : „ Die Wiener Küche hat wie alle Regionalküchen in Österreich die sympathische Eigenschaft , sich traditionell und bodenständig zu äußern . Auf der anderen Seite aber ist man sich hier durchaus der Moderne bewusst .“ Schnitzel , Tafelspitz , Gulasch , Apfelstrudel , Kaiserschmarren , Topfengolatschen – die Wiener Küche ist trotz oder gerade wegen ihrer multikulturellen Wurzen ( Ungarn , Böhmen , Mähren ) zu einer eigenständigen Marke geworden . Mit Böhmischen Dalken genau so wie mit dem Szegedinger Gulyas . Gerichte mit Geschichte eben – oder , wie es im Marketingsprech heißt : „ Storytelling “.
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