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ie Dampflokomotive setzt sich in Bewegung. Lei-
ses Rattern und Zischen. Die Räder rollen langsam an.
Große Sommerregentropfen landen mit einem lauten
Platsch auf den Scheiben und Bahnsteig. Vor unserem
Fenster grast ein grauer, riesiger Strauß, fünfzig Meter
von der Station entfernt.
Das hier ist wohl wirklich Afrika.
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t
ie Reise beginnt am Freitag Vormittag. Das alte und
meisterhaft restaurierte Bahnhofsgebäude von Rovos
Rail liegt nur ein Paar Minuten von Pretoria entfernt.
Ein älterer, gut aussehender Mann begrüßt uns direkt
nach der Ankunft. Er stürmt auf uns zu mit dem wärmsten Lächeln, das man einem Fremden schenken kann,
und besteht darauf, die schwer beladenen Taschen in die
Lounge zu bringen. Er führt uns in die Lobby, wo man
diejenigen, die noch nicht vom Duft der frisch gebacke-
schönsten Kulisse, die man sich für eine Zeitreise wün-
stop in den Goldenen Jahren des vergangenen Jahrhun-
nen Brötchen geweckt wurden, auf den Beginn des neu-
schen kann.
derts. Hier erinnert alles an den Orient Express, Europas
en Tages aufmerksam.
legendären Luxuszug, der einst Paris mit Konstantinopel
Für mich ist es jedoch nicht der Luxus, der die Reise ein-
verband. Rum und Glanz, Champagner Parties, Jazz Mu-
Dem Frühstück folgen an beiden Tagen Ausflüge in die
sik und exquisite Dinner-Abende.
Umgebung: Am Samstag bestaunen wir die riesige ehe-
nimmt.
Erst da begreifen wir, dass wir die ersten Gäste sind. Der
ältere engagierte Herr, der sich um unser Gepäck kümmert, ist Rohan Vos persönlich, der Gründer von Rovos
Es ist das Gefühl, dass man hier und jetzt mittendrin in
Ich mache mir nicht viel aus Luxus und schlafe gerne
- und hören Geschichten aus den längst vergangenen
der Geschichte ist, die man später seinen Enkeln erzählt
unter freiem Himmel auf dem Dach eines Vans. Aber als
Zeiten, als Zehntausende Menschen aus Übersee und ei-
und in leicht vergilbten Fotoalben aufbewahrt. Eine Ge-
wir unsere Kabine betreten, bin ich sprachlos. Denn das
genem Land in die Region strömten und in der bis dato
schichte, die zur Erinnerung wird und immer mit den
hier ist anders. Hier treffen zwei meiner Leidenschaften
kaum vorhandenen Stadt Diamanten- und Goldrausch
Worten beginnt: „Weißt Du noch, als wir Südafrika mit
aufeinander: Zeitreisen und Zugreisen. Als ich klein war,
ausbrach. Am darauffolgenden Morgen hält der Zug 5
einem Zug durchquerten...“.
haben wir im Haus meiner Großmutter gewohnt. Auf
km vor Matjes Fontein, einer winzigen Stadt, die einem
der anderen Seite des Chausses, welches direkt zur Sei-
Museum gleicht. Wir laufen die Strecke in die Stadt zu
denstraße führte, fuhren im Stundentakt schwer belade-
Fuß, vorbei an Kakteen-Landschaften und Windrädern,
ne Züge. Das rhythmische Schlagen ihrer Räder verbinde
begleitet von der strahlenden Februar-Sonne.
ich für immer mit Zuhause. Für mich ist es die Melodie
meiner Kindheit.
Mehr als die Ortschaften, die wir auf der Reise zu Gesicht bekommen, fasziniert mich aber die Natur. Wir se-
Und nirgendwo kann ich besser schlafen als in einem
hen Flamingo-Schwärme in die Luft steigen und Herden
schaukelnden Zug, der Ferne und Abenteuer verspricht
von Schafen in den entlegensten Regionen grasen. Adler
kreisen in der Luft auf der Suche nach Beute und die Savanne leuchtet in satten Rottönen beim Sonnenunter-
Ich hänge die Abendkleider auf, lege den Kopfschmuck
gang.
in die Garderobe und nehme eine heiße Dusche in unse-
In der Lounge spielt leise Musik. Der Duft von Kaffee
und Lilien liegt in der Luft