FernwehO Mag #1 South Africa | Page 270

271 270 I ch sitze hinter Allan im Wagen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass der Wind mich weniger streift, dass der Regen mich weniger durchnässt, weil er vor mir ist und alles abfängt. Seine große Statur ist wie ein Schutzschild an diesem kühlen Morgen. W t ie jeden Tag sind wir seit 4 Uhr früh auf den Bei- nen. Nach einem kurzen Kaffee geht es noch vor dem Frühstück auf zum Game-Drive. Auf die Safari-Fahrt. Heute ist unsere letzte. Meine Kamera liegt fest auf der Ablage des Jeeps, immer bereit zu schießen. Allan schaut zuerst zum Horizont, wo die Sonne vor einigen Minuten aufgegangen ist und dann zu Omega. Es ist still, wir liegen auf der Lauer. Mit ernster Stimme fragt er: „Omega, what time is it?“ Omega dreht sich auf seinem vorne am Wagen befestigten Tracker-Sitz um. Seine Augen leuchten. Er zischt: „It‘s LEOPARD TIME!“ und dreht sich wieder um. Wir lachen. Allan lacht auch, aber lautlos, kaum merklich. Ich sehe nur, wie seine Schultern sich auf und ab bewegen. Sein Gesicht sehe ich nicht. Denn er muss fahren. Er muss führen. Er ist unser Ranger und der einzige, der uns durch diese Wildnis heil bringen kann. Und Omega, der Spurenleser, ist sein treuer Gefährte. I t ch habe das Gefühl, die beiden schon ziemlich gut zu kennen. Das ist unsere vierte gemeinsame Fahrt. In den letzten Tagen haben wir über fünfzehn Stunden auf engstem Raum im Jeep verbracht. Fünfzehn Stunden. Weil es notwendig war. Weil in der Wildnis kein Tier einem einfach so vor die Linse spaziert. Man muss warten, man muss spähen, man muss horchen und die kleinen Zeichen im Sand und in den Ästen deuten. Man muss bereit sein, den Kopf einzuziehen, um nicht in riesige Spinnweben-Netze zu geraten, wenn der Wagen die Schotterpiste verlässt... nur, um die Ohrspitze eines in der Mittagshitze schlafenden und leise knurrenden Löwen zu erspähen. Man muss bereit sein, auf ein Foto zu verzichten, weil es in Strömen regnet und die Ausrüstung von den vom Himmel runterprasselnden Wassermassen geschützt werden muss. Und manchmal muss man einfach die Luft anhalten und nicht den Auslöser betätigen, weil das Bild des Augenblicks, das sich für immer ins Gedächtnis einbrennt, viel wertvoller ist als jede Aufnahme. B t is zu diesem letzten Morgen haben wir Kudus, Impa- las, Nyalas, Affen, Zebras, Schildkröten, Wildschweine, Adler, eine Reihe von Tieren, deren Namen ich vergessen habe, Elefanten, Büffel, Giraffen, einen Nashorn und schließlich in der späten und düstersten Nacht eine Familie Löwen aufgespürt. Man könnte sagen, wir haben sie alle gesehen. Zumindest waren wir sehr erfolgreich. Aber Allan sieht es anders. In seinen Augen haben wir das schönste, mächtigste und klügste aller Tiere noch nicht gesehen... Von den Big Five fehlt uns noch einer. Der Leopard. Man kann nicht behaupten, Allan und Omega hätten erst jetzt angefangen zu suchen. Eigentlich waren sie die gan-