Contemporânea Contemporânea #7 | Page 29

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ausgebildeten Bürgerinnen und Bürger nicht mehr mit Jobs versorgen kann. Castro hat deswegen seit 2010 zwischen 500.000 und 1 Million Staatsbedienstete entlassen. Sie können bzw. müssen einen der Jobs ergreifen, die die Regierung frei gegeben hat, mit dem sie auf eigene Rechnung (cuenta propia) arbeiten können. Diejenigen, die ihren Beruf verloren haben, sind mehr oder weniger gezwungen, sich selbständig zu machen - auf eigene Rechnung zu arbeiten. Doch die Berufe, die Castro für den freien Markt fei gegeben hat, eine Liste von ca. 200 Berufen, sind keine Berufe im herkömmlichen Sinn, für die eine Ausbildung nötig ist, sondern es sind Jobs, die erledigt werden können. Zu diesen Jobs gehören Tätigkeiten, wie Gastzimmern zu vermieten, Frühstück anzubieten, Cocktails zu mixen, Auto zu fahren, Reisegruppen zu führen. Deswegen entsteht der Eindruck des hohen Bildungsgrades der kubanischen Bevölkerung, weil Touristen vor allem mit den gut ausgebildeten, studierten Kubanern in Kontakt kommen. Aber die sind es gerade, die nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten können, weil sie nicht die Möglichkeit erhalten, auf dem freien Markt ihre Expertise anzubieten. Der Straßenbauingenieur, der nun Taxis fährt, kann eben kein Ingenieurbüro eröffnen, ebenso wenig wir die Architektin, die nun Gastzimmer vermietet oder die Informatikerin, die Kaffee kocht und verkauft.

Die Castro-Regierung bestraft derzeit gerade die Studierten unter den Kubanern, indem sie zu Jobs gezwungen werden, für die sie gar keine Ausbildung benötigen. Kuba verspielt damit seine größte Ressource. Gerade weil Kuba mit Industrienationen im Hinblick auf Ausbildung und Wissen, im Hinblick auf Wissenschaft und Technik konkurrenzfähig wäre, ist es so irritierend, dass dies nicht ansatzweise geschieht.

CUBA

Sieglinde Jornitz, Doktor der Philosophie, arbeitet als Wissenschaftlerin am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main/Deutschland. Ihre Forschungsschwerpunkte sind nationale und internationale Bildungspolitik, Unterrichtsforschung und Analyse von visuellen Dokumenten.

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